Lapsuslieder & Gedichte
Marco Tschirpke
Lapsuslieder & Gedichte
Plakat «Ich 'n Lied - du 'n Lied - Level 2»

Tschirpke & Krämer

Ich 'n Lied - du 'n Lied - Level 2

"Ich 'n Lied - du 'n Lied" ist seit jeher und noch immer der Wechselsang zweier wohlgestalter Männer, deren Lieder mit der Geschmeidigkeit tieffliegender Delphine den Asparagus beäugen und dennoch jeden Zankapfel schälen, der dem Onkel Dittmeyer unter die Apfelsinen gerutscht ist. Sebastian Krämer, lorbeerbekränzter Apoll des kunstsinnigen Bürgertums, schmachtfezt sich durch die Trümmer der deutschen Seele und so. Sein Schlips hat immer mindestens eine Windung mehr als nötig. Er singt fast so hoch wie die Königin der Nacht, hat aber kein Messer in der Hand, weil er schließlich auch Klavier spielt.

Falls dies nicht gerade Marco Tschirpke besorgt. Vom virtuosen Verschlepper des Two-Liners heißt es, er sähe allen Frauen, die im Schützen geboren sind, bis tief auf den Grund ihrer Dartscheibe. Wo seine samtene Baßstimme das Erz in den Endmöränen zum Vibrieren bringt, sind die Kohlmeisen nicht weit. Krämer & Tschirpke, das heterophone Traumpaar des modernen Satzgesangs, hieven auf Level 2 ihr träges Publikum über die Schwelle des Nichtbegreifens: So schön fühlt sich Vernunft vielleicht nie wieder an!

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Pressestimmen

Sebastian Krämer trägt Schlips und Weste, Marco Tschirpke ein saloppes T-Shirt. Ganz unterschiedlich ist auch die Machart ihrer Lieder. Krämer gibt Geschichten Raum, Tschirpke läßt Gedanken kurz aufleuchten wie Blitze. Seit 2003 gönnen sich beide das Vergnügen, ihre Gegensätzlichkeit nicht nur in Soloabenden, sondern auch in gemeinsamen Auftritten auszuleben. Die benennen schon im Titel das naheliegende dramaturgische Konzept: "Ich 'n Lied - du 'n Lied".

Dabei bleibt es auch in der aktuellen Version "Level 2", die das alte Spiel mit neuen Liedern fortsetzt. Da bringt Tschirpke den Humor der Algen mit der knappen Feststelung auf den Punkt, es handle sich eben um "Algenhumor", während Krämer ausführlich ein vergessenes Spielzeug analysiert. Dank einer eingebauten Feder kann es die Treppe runtergehen, wenn man ihm auf der obersten Stufe einen Schubs gibt. So ein Slinky sei doch eine Metapher für unser Leben: Auch wir würden uns nur bewegen, wenn man uns schubst, und dann ginge es ständig abwärts.

Sebastian Krämer verfügt über Sprachgefühl und Wortsicherheit wie wenige in der heutigen Liederszene. Scheinbar Selbstverständliches stellt er sofort infrage und glaubt einfach nicht, daß Endzeitaffine, die auf dem Rummel in den "Hell Express" steigen, ihn als dieselben Menschen wieder verlassen würden. Denn jede Erfahrung verändert uns. Bei ihm dürfen wir Erfahrungen nicht nur risikoloser machen, sondern dabei auch noch Reime genießen, die wir nie gehört haben ("Gestern war ich im Reisezentrum, / man stand um die Schalter wie um eine Band rum."), und uns an Kompositionen erfreuen, die den Rhythmus des Kabarettchansons mit einprägsamen Melodien verbinden.

Auf die Tasten des Flügels schaut er genauso wenig wie Marco Tschirpke, der, passend zu seinen Texten, karge Klänge liebt, die Stimmungen nur anreißen. Zwischendurch serviert er aber auch - mit schmunzelndem Hinweis auf Bach, der einst die Buchstaben seines Namens komponierte - unerwartet kleine Fugen auf die Töne F-D-G-B und B-A-S-F. Einmal hält er eine Blockflöte in der Hand, laßt sie jedoch wieder sinken, bevor er hineingeblasen hat. Nur nicht zuviel machen! Seine Minisongs, die er selbst "Lapsuslieder" nennt, sind Hochkonzentrate. Oft lassen sie den Wunsch zurück, er möge doch auch mal einen Gedanken ausführen, statt nur Ideen zu benennen. Als Tschirpkes Lied über den Kalender nach nur einer Zeile mit der Feststellung "deine Tage sind gezählt" tatsächlich schon zu Ende ist, kontert Krämer, die gleichberechtigte Aufteilung der Gage sei nur fair, wenn jedes Lied mindestens einen Reim enthalte.

An Selbstironie mangelt es jedenfalls keinem der beiden. Einmal tauschen sie sogar mit diebischer Freude die Rollen und lassen das Publikum erstaunt feststellen: Krämer kann auch kurz und Tschirpke auch lang. Aber ihre Kleidung wechseln sie deshalb nicht.
Stephan Göritz in Folker
Magazin für Folk, Lied und Weltmusik, Heft 3/2014, S. 73